Letzte Woche hing der Himmel für mich nicht voller Geigen, sondern voller Schlager. Und das – man lese und staune – in einem Tempel der Hochkultur: dem Frankfurter Literaturhaus; bei einer Lesung mit einem Tempelherrn der Hochkultur: Prof. Dr. Rainer Moritz, Autor, Literaturkritiker, langjähriger Leiter des Hamburger Literaturhauses und bekennender Fan des deutschen Schlagers.
Das ist ein Ätsch für alle, die über den musikalischen Zuckersirup hochnäsig die Nase rümpfen und sich schwarz hornbebrillt den zumeist freudlosen, oft dissonanten, stets mit einer Aura von Intellektualität umgebenden Jazzklängen widmen. Das ist ein Ätsch, weil es beweist: Wer Schlager hört, ist deshalb noch lange nicht bildungsfern. Es schließt sich auch nicht aus, ein Fine-Diner zu sein und trotzdem hin und wieder zum Fast-Foodie zu werden. Apropos: Mein aktuelles Programm „Freudig erregt“ kommt auch nicht ganz schlagerfrei daher, wie Sie hier nachhören und -sehen können.
Wer den Schlager pauschal verschmäht, ist schlicht ein Bildungssnob und hat keine Ahnung. Ich jedenfalls habe viel gelernt an diesem Abend. Im Grunde seiner melodie- und textkompositorischen Eingängigkeit ist der Schlager vor allem kunstvoll verdichtete Zeit, ein Dreiminuten-Kondensat von verliebt, verlobt, verheiratet in Reimform und damit ein echter Effizienzmeister. Marcel Proust, der zeit seines Leben bei der Suche nach der verlorenen Zeit ganz viel Zeit verloren hat, hätte sich daran ruhig ein Vorbild nehmen können.
„Zwei Spuren im Schnee“ – so der Programmtitel – folgte der Herr Moritz an diesem Abend, auf Schneeschuhjagd nach dem „Winterschlager“, der definitiv unterrepräsentiert ist. Das schlagerliche Gewühle der Gefühle ist gemeinhin eine frühjährliche oder sommerliche Angelegenheit. Aber er bewies, dass es auch in frostigen Zeiten heiß werden kann, zum Beispiel mit einem Song der norwegischen Nachtigall Kirsti Sparboe (die man nicht wirklich kennen muss): Sie hat sich mitten im Winter in einer Hütte vergnügt – mit einem Studenten aus dem schwedischen Upsala, nein, sorry, soviel Platz muss sein: genreadäquat natürlich mit einem Studenten aus Uppsalalalalalalalala.
Der Sailer, Toni hat auch nicht gefehlt. Als Skirennläufer ist man nolens volens immer ein Winterbotschafter – als Sänger war der Tiroler es aber auch. Wehmütig hat er seiner eis- und schneereichen Heimat hinterhergetrauert, wenn er in der Ferne traurig konstatieren musste, dass „am Fujiyama kein Edelweiß blüht“. Immer nur diese Bonsais, das muss doch wirklich nicht sein.
Egal. Die Veranstaltung mit Rainer Moritz war toll. Und jeder, der die Gelegenheit hat, diesen Abend, der zwischen Vortrag, Lesung, Kabarett und Liederabend hin- und herchangierte, zu besuchen, sollte das tun.
Für mich war dieser Abend folgenreich. Erstmals schäme ich mich nicht mehr dafür, den Radiosender „Schlagerparadies“ im Auto abgespeichert zu haben, in direkter Nachbarschaft zu DLF Kultur und HR Info … Ja, ich stehe dazu; möchte meine Leserinnen und Leser aber trotzdem darum bitten, dass das unter uns bleibt.